CADFEM Journal 01-2023

22 ANWE N D E RB E R I CHTE WI E LANGE HÄLT DER TI EGEL? Das ideale Bauteil für die erste praktische Umsetzung ist der Tiegel. Die SchweißkonstruktionausStahl ist hochbelastet: „2000°C heißes Rauchgas außen, korrosives Schutzgas und hydrostatischer Druck von bis zu 4t schwerer Schmelze innen“, erklärt Florian Sipek. „Hinzu kommen extreme Temperaturgradienten, die Strahlungsleistung der Flamme und hohe Geschwindigkeiten bei einer inhomogen verteilten Strahlungsenergie“. Versagt der Tiegel, steht das System still. Die Wartung basiert üblicherweise auf Erfahrungswerten, was funktionieren kann - in einer idealen Welt. Sobald aber Unregel- mäßigkeiten in den Prozessen oder bei der Handhabung auftreten, droht ein Versagen und damit Folgeschäden. „Genau dann zeigt sich der Wert der prädiktiven Wartung“, fasst Florian Sipek zusammen. E INFLÜSSE DER SEGREGATION Die Idee der digitalen Zustandsüberwachung des Tiegels ist ein Zusammenspiel aus realen Messwerten und virtueller Sensorik. Durch die in der Schmelze auftretende Segregation, d.h. Absetzung bestimmter Verbindungen, bildet sich ein Sumpf am Tiegelboden. Er führt lokal zu einer Änderung der Strömungsbedingungen und der Materialpara- meter Wärmeleitung und Wärmekapazität, was den Wärmetransport am Tiegelboden von Ofenraum zu Schmelze stört. In Verbindung mit der inhomogenen Temperaturverteilung an der Außenwand entstehen hohe Spannungen im Tiegel. Komplexe und extrem schnelle Strömungsvorgänge im Ofenraum müssen abgebildet werden. Die Sumpfmenge ist demnach eine wichtige Kenngröße für eine korrekte Aussage zur Echtzeit-Belastung des Tiegels und damit auch für die Verlässlichkeit der prädiktiven Wartung. Aufgrund der Umgebungsbedingungen im Tiegel und im Ofen ist die Nutzung realer Sensorik für die Temperaturmessung kaum möglich. Daher sah das Konzept von CADFEM virtuelle Sensoren für die Simulationen vor. Zusammen mit einer aus den Temperaturen berechneten Sumpfmenge und den Prozessparametern kann so mit wenigen Messstellen und Eingangsgrößen auf eine lokale Belastung am Tiegel geschlossen werden. Für die Vorhersage der verbleibenden Standzeit des Tiegels sind die präzise Modellierung der Temperaturverteilung im Ofenraum durch Computational Fluid Mechanics (CFD) und der Spannungen an den Schweißnähten (Strukturmechanik, FEM) essenziell. CFD-seitig wird für eine korrekte Vorhersage der Flammentemperatur, der Wärmestrahlung und des Impulseintrags eine Verbrennungssimulation des Brenners und des Ofenraums durchgeführt. Auf Basis der CFD-Ergebnisse werden eine Temperaturfeld- und eine Spannungsanalyse durchgeführt, mit der Schmelze als variable Wärmesenke, um das Aufschmelzen eingeworfener Barren abzubilden. IN JEDER INFRASTRUKTUR Der Digitale Zwilling muss die individuellen Voraussetzungen beim Endkunden adaptieren – bei den abzubildenden Prozessen genauso wie bei der genutzten IT-Infrastruktur. Ein Konzept zur IT-Integration ist ein wichtiger Baustein bei der Umsetzung, es geht u.a. um den Umgang mit Sensordaten, den Betrieb des Zwillings, Security- und Netzwerk-Themen. ITficient konnte bei RAUCH-FT auf einen Datenpool und eine IoT-Plattform aufsetzen. Die notwendigen Microservices – Entgegennahme der Sensor- und Maschinendaten, Berechnung der virtuellen Sensoren, Modelle und Prozesse, Datenhaltung und -auswertung sowie Visualisierung von Ergebnissen – wurden dort so integriert, dass IT-Ressourcen optimal ausgeschöpft wurden, keine Insellösungen entstanden sind und RAUCH-FT die volle Kontrolle über alle Vorgänge in der Hand behalten hat, d.h. auch, sie eigenständig weiterentwickeln kann. Die präzise Simulation der thermischen Vorgänge im Ofenraum die in Zusammenarbeit mit den CADFEM Spezialisten durchgeführt wurde, trägt wesentlich zu einer verlässlichen Vorhersage des Tiegelzustandes bei. » DIGITALE ZWILLINGE SIND EINE WICHTIGE SYMBIOTISCHE ERWEITERUNG DER REALITÄT DURCH SIMULATION. CHRISTIAN ABRAMOWSKI Leiter Digital Twin Team, CADFEM

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